Früh erkennen – früh helfen

Esslinger Zeitung 29. April 2009

Wie man Gewalt gegen Kinder verhindern kann – Tipps der Plochinger Heilpädagogin Claudia Binzer

Esslingen – Elterliche Gewalt gegen Kinder hat ihre Ursachen oft im Zusammenspielpsychosozialer Belastungen: Eltern, die selbst misshandelt oder vernachlässigt worden sind und wenig Zuwendung erfahren haben. Diese Eltern sind mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert. Frühzeitiges Erkennen von Gefährdungen ist der entscheidende Schritt, um dem gegensteuern zu können.

Dieser Bereich ist nach Einschätzung der Plochinger Heilpädagogin Claudia Binzer in Deutschland noch unterentwickelt. Müttern, die in Armut lebten, solle geholfen werden, ihre Kinder so zu erziehen, dass sie widerstandsfähig seien. Langzeituntersuchungen hätten die Notwendigkeit gezeigt, dass eine Mutter frühzeitig eine sichere Bindung zu ihrem Kind aufbaue. Je früher Prävention einsetze, umso effektiver sei die Hilfe.

Die Diplom-Heilpädagogin hat die Problematik der Frühen Kindheit kürzlich auf einem Fachtag der Evangelischen Gesellschaft (EVA) in Stuttgart zum Thema „Resilienz in der sozialen Arbeit“ dargestellt. Es handele sich hier um präventive Maßnahmen, die seelische und physische Gesundheit dauerhaft ermöglichen sollen. Ein Ziel sei es, Schnittstellenzwischen der Jugendhilfe und dem Gesundheitssystem zu schaffen, um aufwendigere stationäre Hilfen später zu verhindern.

Stärkung der Eltern-Kind-Bindung Claudia Binzer bezieht sich auf das Frühinterventionsprogramm STEEP(übersetzt: „Schritte zu einer effektiven und erfreulichen Elternschaft“).Es ist entstanden aus der Minnesota-Studie, die seit mehr als30 Jahren die Interaktion zwischen Müttern und Säuglingen unter besonders schwierigen Lebensbedingungen beobachtet hat – und das jetzt schon in der dritten Generation. Angestrebt wird die Stärkung der Eltern-Kind-Bindung von der Schwangerschaft bis zum zweiten Lebensjahr. Besonders Mütter aus Hochrisiko-Konstellationen sollen dabei unterstützt werden. Das Programmschafft die Voraussetzung, dass Eltern in ihre Aufgaben hineinwachsen können. Dies geschieht unteranderem durch ein Videointeraktionstraining. Über zwei Jahre hinweg finden Hausbesuche und Gruppentermine im wöchentlichen Wechsel statt.

nach oben Top

Die Heilpädagogin beschreibt diese Methode, für die sie ein Zertifikat hat, als hochwirksam. So helfe sie auch Gewalt, denen Kinder ausgeliefert sein können, zu verhindern. Denn wenn sich die Zuwendung verbessere, verbessere sich auch das kindliche Verhalten. Wichtige Ergebnisse dieser Studie:

  • Frühe Beziehungserfahrungen haben einen durchgängigen Einfluss über die Jahre hinweg, sogar wenn der Einfluss nachfolgender Erfahrungen und späterer Umstände kontrolliert wurde.
  • Erfahrungen bauen aufeinander auf und nehmen fortwährend zusammenmit dem gegenwärtigen Kontext Einfluss.
  • Die herausgehobene Rolle von Erwachsenen-Partner-Beziehungen.
  • Die zunehmend aktive Rolle der Personen selbst in der Gestaltungihrer eigenen Entwicklung.
  • Das Zusammenspiel von Erfahrung, Repräsentation und laufender Anpassung. Während STEEP in Norddeutschland flächendeckend vertreten ist, lässt die Verbreitung in Süddeutschland noch zu wünschen übrig. Die Ausbildung erfolge zwar in Offenburg im „Haus des Lebens“, doch bestünden unter anderem im Raum Stuttgart – Esslingen Vorbehalte, beklagt Claudia Binzer: „Leider sieht das Jugendamt Esslingen noch nicht ein, derart wirksame Hilfen zu unterstützen. Betroffene Familien mit sozialen und psychischen Risikofaktoren werden nicht erfasst, obwohl gerade diese Familie Unterstützung dringend brauchen.“ Finanziert werde diese Präventivmaßnahme über die Jugendhilfe. Eine ähnliche Methode sei die entwicklungspsychologische Beratung(EPB). Dabei würden Videoaufnahmen von Mutter und Kind gemacht und anschließend mit der Mutter besprochen. Die EPB sei jedoch nur empfehlenswert bei nicht belasteten Müttern, meint die Heilpädagogin. Bei STEEP werde das soziale Umfeld einbezogen. Neben Einzelgesprächen werde ein soziales Netz in Gruppen aufgebaut. Es werde keine Mutter entlassen, wenn sie nicht eine Perspektive habe. Es sei wünschenswert, die Frauen möglichst während der Schwangerschaft zu erfassen. Da diese Mütter durch psychische Auffälligkeit oder Suchtprobleme bekannt seien, sieht Claudia Binzer die Jugendämter in der Pflicht: „Sie können ein so wirkungsvolles Programm nicht ignorieren.“ Sie selber hat schon Jahre damit in ihrer Psychologisch-heilpädagogischen Praxis gearbeitet. Es seien allerdings derzeit zu wenig Frauen für eine Gruppe, was eigentlich notwendig wäre. Die in der Regel jungen Mütter sollen lernen, auf ihr Kind feinfühlig zu reagieren und Signale des Kindes zu verstehen. Ziel sei nicht die perfekte Mutter, sondern die hinreichend gute Mutter. Deshalb sei es mit entscheidend, deren Selbstwertgefühl zu steigern.
  • www.eva-stuttgart.de
    www.gerhard-suess.de
  • Literatur: Martha Farell / Byron Egeland: Die Stärkung der Eltern-Kind-Bindung. Klett-Cotta, Stuttgart.
  • nach oben Top

    ZIELE VON STEEP

  • Förderung gesunder sowie realistischer Einstellungen und Erwartungen bezüglich Schwangerschaft, Geburt, Erziehung des Kindes und der Eltern-Kind-Beziehung.
  • Verständnis für Kindesentwicklung und realistische Erwartungen bezüglich kindlichen Verhaltens fördern.
  • Förderung feinfühliger und vorhersagbarer Reaktionen der Eltern auf dieSignale des Kindes.
  • Befähigung der Eltern zur Perspektivenübernahme: mit den Augen des Kindes sehen.
  • Auf die Gestaltung einer häuslichen Umgebung hinwirken, die sicher, vorhersagbar entwicklungsförderlich ist.
  • Hilfestellung für Eltern bei der Etablierung sozialer Hilfen für sich und ihr Kind. Hilfestellung für Eltern bei der Etablierung angemessener Handlungsstrategien im Alltag.
  • Aufbau und Stärkung der Kompetenzen und des Selbstbewusstseins der Eltern.
nach oben Top